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10.5 Weitere mögliche Akteure

In der moderne kapitalistische Gesellschaft mit ihren bürgerlichen Freiheiten haben sich verschiedene Organisationen und Bewegungen entwickelt, die mehr oder weniger auch soziale und demokratische Verbesserungen zum Ziel haben. Außerdem gibt es eine Reihe von Organisationen, die als Interessenvertreter bestimmter größerer Bevölkerungsgruppen auftreten. Auch wenn diese Organisationen und Bewegungen meist keine fundamentale Kapitalismuskritik üben, versammeln sich in diesen Organisationen Menschen, die einerseits mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden sind und andererseits bereit sind, für Veränderungen etwas zu tun. Damit stellen sie ein wichtiges Potential für eine Transformation der kapitalistischen Gesellschaft dar, die es einzubeziehen gilt. Dazu gehören z.B. Gewerkschaften, Friedensbewegungen und Pazifisten, Frauenbewegungen, Schwulen- und Lesbenbewegungen, Menschenrechtsorganisationen, Organisationen sozial engagierter Christen, Umweltschutzorganisationen, Vereine kritischer Aktionäre, karitative Organisationen, wie der Behindertenverband, die Volkssolidarität, Ärzte ohne Grenzen und viele andere, und Interessenvertretungsvereine, wie der Mieterbund oder Verbraucherschutzorganisationen.

Was spricht dafür und dagegen, daß diese Organisationen und/oder Vertreter dieser Organisationen die Transformation des Kapitalismus in Richtung einer sozialistischen Alternative mit vorantreiben werden?

Dafür spricht, daß sich in diesen Organisationen die kritischen und aktiven Menschen zusammenfinden. Bei ihren praktischen Versuchen Veränderungen zu bewirken, stoßen sie an Grenzen des kapitalistischen Systems. Das wird ihre Bereitschaft erhöhen, die kapitalistische Gesellschaft grundsätzlich in Frage zu stellen und nach gesellschaftlichen Alternativen zu suchen.

Diese Bewegungen können eine Bereicherung der sozialistischen Bewegung darstellen, indem die Vertreter dieser verschiedenen Bewegungen aufgrund ihres unterschiedlichen Herangehens an die Probleme unterschiedliche kreative Ideen entwickeln, die eine Bereicherung darstellen können. Durch ihre konkreten und überschaubaren Ziele, die sich diese Organisationen und Bewegungen stellen, erreichen sie einen größeren Kreis der Bevölkerung, nämlich den, der im täglichen Leben mit diesen konkreten Problemen aktuell konfrontiert ist.

Dagegen spricht, daß das gesellschaftliche Problem, welchem sich die jeweilige Organisation widmet, oft nur isoliert gesehen wird und nicht die Bereitschaft besteht, dieses im Kontext der prinzipiellen Probleme der kapitalistischen Gesellschaft zu sehen. Die Prinzipien der kapitalistischen Gesellschaft sind oft so stark als einzig mögliche verinnerlicht, daß es schwerfällt, Lösungen jenseits dieser ideologischen Schranken zu suchen. Je weiter man sich von althergebrachten Ansichten und Denkweisen entfernt, um so komplexer werden die Probleme, die zu bedenken sind. Davor schrecken viele Menschen zurück und beschreiten lieber den Weg kleiner Schritte, sowohl auf gedanklichem als auch auf praktischem Gebiet. Manche kleine praktische Schritte, bedürfen aber vorher großer gedanklicher Schritte, um in die richtige Richtung zu führen.

Jede Organisation oder Bewegung, die etwas bewegen will, benötigt einen Apparat, der aus Menschen besteht, von denen die einflußreichsten mit dieser Arbeit teilweise oder vollständig ihren Lebensunterhalt bestreiten. Je länger eine Organisation besteht, um so größer ist die Gefahr, daß sich dieser Apparat in den bestehenden Verhältnissen eingerichtet hat und das Risiko scheut, weiter kreativ nach echten neuen Lösungen zu suchen5).

Mir ist schon oft die Ansicht begegnet, daß in einer (bürgerlichen) Demokratie jeder nur seine eigenen Interessen konsequent vertreten muß und dann durch Mehrheiten vernünftige gesamtgesellschaftliche Entscheidungen zustande kommen. Diese Ideologie eines Gruppenegoismus scheinen sich auch manche Organisationen zu eigen zu machen. Dadurch verkommen ihre ursprünglich vernünftigen Ziele zu kleinkarierter Politik für ein bestimmtes Klientel. Mit solchen Organisationen ist es schwierig, in fairer Kooperation echte gesellschaftliche Probleme zu lösen.

Zum Umgang mit diesen Organisationen und Bewegungen:

Sozialistische Parteien und Bewegungen dürfen potentielle Partner nicht als Wasserträger ihrer Politik ansehen, indem sie z.B. versuchen diese zu missionieren, damit sie als Rädchen im großen gesellschaftliche Transformationsprozeß unter der Leitung der Partei funktionieren.

Statt dessen muß man sie als gleichberechtigte Partner behandeln und davon ausgehen, daß auch die anderen, so wie wir, ehrlich nach Lösungen suchen und keiner ein Patentrezept hat. D.h. wir nehmen ihre Lösungsvorschläge interessiert und kritisch zu Kenntnis und versuchen damit unsere eigenen Ansichten weiter zu entwickeln. Dafür bieten wir ihnen unsere Lösungsvorschläge zur kritischen Prüfung an, in der Hoffnung, daß sie mit unseren Vorschlägen ebenso verfahren. Je ausgereifter unsere Lösungsvorschläge sind und je professioneller wir sie präsentieren, um so größer sind auch die Chancen, daß sie von anderen angenommen werden. Das ist und bleibt ein beschwerlicher Weg.

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