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9.4 Szenarium für eine friedliche Revolution durch eine Reihe von Reformen
Innerhalb der noch weitgehend funktionsfähigen kapitalistischen Gesellschaft müssen bestimmte Voraussetzungen bereits vorhanden sein bzw. geschaffen werden:
- Es müssen bürgerlich-demokratische Verhältnisse bestehen, in denen sich linke Bewegungen und Parteien einigermaßen frei entwickeln und ihre Ideen in der Bevölkerung verbreiten können.
- Vor der Verbreitung ihrer Ideen müssen diese zunächst ausgearbeitet werden. Diese Ausarbeitung sollte aber nicht in kleinen internen Kreisen erfolgen. Sie sollte offen sein für originelle Ideen aus allen humanistischen Strömungen und sollte auch bereits in der Phase der Ideenfindung auf andere Strömungen und die gesamte Bevölkerung ausstrahlen2).
- Die linken Bewegungen müssen bürgernahe politische Strukturen aufbauen, z.B. Parteien aber auch außerparlamentarische Bewegungen, mit denen sie am politischen Tagesgeschehen teilnehmen. Das ist notwendig, damit sie Einfluß nehmen können auf die Schaffung notwendiger Voraussetzungen für den Transformationsprozeß, damit die Mitglieder der linken Bewegung Erfahrungen im professionellen politischen Handeln gewinnen, und damit die Bevölkerung die politische Kompetenz der Vertreter linker Bewegungen erkennt und Vertrauen zu ihrer Politik gewinnt.
Es ist davon auszugehen, daß eine sozialistische Marktwirtschaft nicht gleichzeitig auf der gesamten Welt errichtet wird. Deshalb sollten weitere Voraussetzungen vorhanden sein.
- Es sollten weltweit die Prinzipien der friedlichen Koexistenz gelten und ein funktionsfähiges Weltsicherheitssystem existieren, welches in der Lage ist, dieses Prinzip auch durchzusetzen. Es sollten erprobte Deeskalationsstrategien existieren, damit kleinere Zwischenfälle nicht so schnell außer Kontrolle geraten. Ob die UNO derzeit willens und in der Lage ist, diese Anforderungen zu erfüllen, wage ich zu bezweifeln. Hier sind Reformen zu unterstützen bzw. anzuschieben.
- Eine Aufteilung der Welt in relativ große und relativ klar getrennte politische und wirtschaftliche Einheiten könnte günstig sein, für lokal begrenzt Transformationsprozesse3). Insbesondere für den ersten Versuch ist eine relativ große Einheit erforderlich, damit diese zeitweilig bis zu ihrer Konsolidierung relativ autark wirtschaften kann. Solche Einheiten in ausreichender Größe könnten z.B. sein ein vereinigte Europa, Nordamerika, Südamerika, Afrika, China, Indien gemeinsam mit Südostasien, Rußland oder besser noch die Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Japan dürfte trotz seiner großen Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft wegen zu geringer eigener natürlicher Ressourcen zu klein sein. Es ist aber nicht klar, ob in allen diesen Regionen der Entwicklungsstand der Produktivkräfte ausreichend ist, eine derartige politische und wirtschaftliche Transformation zu überstehen. Das dürfte z.B. noch nicht mögliche sein in Afrika, in Südamerika, in Südostasien, evtl. auch in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wegen des wirtschaftlichen Zusammenbruch während und nach der Perestroika. Auch in China könnte evtl. der Entwicklungsstand der Produktivkräfte noch zu gering sein. Außerdem bedürfte es für China besonderer Überlegungen für ein mögliches Szenarium, weil es zur Zeit noch staatssozialistische Strukturen hat und z.Z. unterwegs ist auf einem von oben geleiteten Weg in den Kapitalismus. Für China gibt es besondere Argumente für und wider die Annahme, daß es als erste Region einen neuen Sozialismusversuch wagen könnte, die noch ausführlicher untersucht werden müssen.
- Eine weitere Voraussetzung für eine lokale Revolution sind einige klare internationale Regeln für die Nutzung wichtiger natürlicher Ressourcen, insbesondere solcher, die weltweit genutzt werden, wie z.B. die Atmosphäre, die Ozeane und Flüsse, die Energiegewinnung und Nutzung sowie ihre Umwelt belastenden Auswirkungen. Vielleicht ist es hier möglich, die Idee des Ressourcenmarktes wenigsten in einigen Hauptressourcen bereits international einzuführen und damit einen ersten Schritt in den weltweiten Einstieg in die Transformation der kapitalistischen Marktwirtschaft zu realisieren. Ein erster Anknüpfungspunkt sind z.B. die Verhandlungen zu den CO2-Emmissionsrechten. Hier ist aus linker Sicht klar zu machen, daß das ein positiver Ansatz ist, daß aber der Versuch der USA, sofort wieder nach kapitalistischer Manier damit zu handeln, kontraproduktiv ist. Die Vorstellungen zur Gestaltung der Nutzungsrechte an den natürlichen Ressourcen in einer sozialistischen Marktwirtschaft könnten hier bereits als Leitfaden für die Gestaltung der Emissionsrechte im Interesse einer weltweiten Verbesserung sozialer Gerechtigkeit in die Diskussion eingebracht werden. Das ist ein Ansatzpunkt, wo durch linke Politik aktuell konkrete Verbesserungen befördert werden können und gleichzeitig sozialistische Ideen als Vorbereitung für den Transformationsprozeß unters Volk gebracht werden können.
Die Transformation von der kapitalistischen Marktwirtschaft zu einer sozialistischen Marktwirtschaft könnte dann in folgenden Schritten erfolgen
- Transparenz in das Wirtschaftssystem bringen.
- Das Prinzip des Datenschutzes ist eigentlich gedacht für den Schutz des Individuums gegen die mächtigste gesellschaftliche Organisation, den Staat, und andere Organisationen, da diese sonst durch systematisches Sammeln von Individualdaten ein erhebliches leicht mißbrauchbares Herrschaftswissen erlangen. Für die Individuen ist das Datenschutzprinzip weitgehend ausgehöhlt. Da nach kapitalistischer Ideologie die gesellschaftliche Produktion in privateigenen Betrieben als Privatangelegenheit der Eigentümer angesehen wird, wird das Prinzip des Datenschutzes auch auf private Produktionseinheiten angewendet. Das ist ein Mißbrauch des Datenschutzprinzips und sollte abgeschafft werden.
- Die Erfassung statistischer Wirtschaftsdaten ist so umzugestalten bzw. zu ergänzen, daß die für die Umgestaltung des Wirtschaftssystems erforderlichen Daten in geeigneter Form zur Verfügung stehen.
- Das private Eigentum, welches für den individuellen Konsum gedacht ist und das private Eigentum, welches als Kapital in die Wirtschaft investiert ist oder werden soll, sind nachweisbar zu trennen.
- Entflechtung der Wirtschaft, insbesondere die Eigentumsverhältnisse
- Es ist das Prinzip des rekursiven Eigentums abzuschaffen. Als rekursives Eigentum bezeichne ich hier die Möglichkeit, daß Wirtschaftseinheiten, wie Betriebe, Banken, Kapitalgesellschaften u.s.w., Eigentümer oder Teilhaber anderer Wirtschaftseinheiten sein können, und dieses beliebig oft wiederholbar ist. Auf diese Weise werden die Eigentumsverhältnisse hoffnungslos verschleiert.
- Ohne zunächst das kapitalistische Privateigentum abzuschaffen, ist folgendes direkte Eigentumsprinzip vorzuschreiben: Eine Privatperson kann an beliebig vielen Produktions- oder Dienstleistungsunternehmen direkte Anteile erwerben. Privatpersonen können aber auch ihr Vermögen durch eine oder mehrere Holding-Gesellschaften verwalten lassen, die dieses dann direkt in Produktions- oder Dienstleistungsunternehmen investieren. Verschiedene Holding-Gesellschaften können gemeinsam Unternehmen finanzieren. Holding-Gesellschaften dürfen sich nicht gegenseitig finanzieren oder Eigentumsrecht aneinander erwerben. Analoges gilt für Produktions- und Dienstleistungsunternehmen. Damit sollen transparente Eigentumsverhältnisse geschaffen werden, ohne die Möglichkeit der Kapitalkonzentration für Großprojekte zu behindern.
- Schrittweise Einführung bzw. fortführen der Einführung des Ressourcenmarktes.
- Einführung eines sozial abgesicherten Leistungslohnsystem (siehe Abschnitt 7.3.2 Arbeitsmarkt und ausführlicher in [7]). Dabei wird der leistungsunabhängige Mindestlohn, das Kindergeld und die Mindestrente aus einer Wertschöpfungsabgabe finanziert.
- Schrittweise ersetzen der willkürlichen Preisfestlegung nach Angebot und Nachfrage durch Kostenpreise plus zentral vorgegebenen Gewinnanteilen. Als Übergangsregel könnte zunächst ein breit angelegtes Gewinnspektrum zulässig sein, das allmähliche reduziert wird.
- Einführung eines Rentensystems, welches gleichzeitig den Produktionsmittelstock finanziert. Gründung der Wirtschaftsvereine zur Verwaltung der Produktionsmittelanteile der Arbeiter. Evtl. können die o.g. Holding-Gesellschaften auch in solche Wirtschaftsvereine umgeformt werden.
- Aushandeln von Modalitäten mit den bisherigen Kapitalisten, wie die großen privaten Produktionsmittelvermögen über einen längeren Zeitraum abgebaut werden, und wie sie evtl. noch ein oder zwei nachfolgende Generationen für ihre Kooperation entschädigt werden.
Das hier in groben Zügen angedachte Szenarium ist noch ausführlich zu diskutieren und weiter zu entwickeln. Das könnte eine Hauptaufgabe werden, um die sich die "Praktiker" und die "Theoretiker" linker Politik gemeinsam bemühen müssen, geeignete Lösungen zu finden, weil hier jeder aus seiner Sicht Erfahrungen einbringen kann.
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