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9.1 Der vernünftige Weg

Als vernünftigen Weg will ich ein Transformationsszenarium bezeichnen, bei dem es gelingt, in einem großen Teil der Bevölkerung, auch in der Klasse der Kapitalisten, die Einsicht in die Notwendigkeit der Ablösung des Kapitalismus zu erzeugen, so daß bereits aus einem noch relativ intakten Kapitalismus heraus auf gewaltfreiem politischen Weg die Transformation über mehrere Reformschritte gelingt.

Sicherlich wird mich nach diesem Satz mancher Leser für einen Träumer halten. Auch ich halte diesen Weg für den unwahrscheinlichsten. Es gibt aber zwei Gründe, darüber trotzdem einmal nachzudenken: Erstens, selbst wenn die Chancen noch so gering sind, ist es den Versuch wert, weil diese Variante die geringsten Risiken unkontrollierbarer gewaltsamer Auseinandersetzungen birgt und damit gute Voraussetzungen für die Demokratie während und nach der Transformation bestehen. Zweitens, wie sich nachfolgend noch zeigen wird, sind wesentliche Aufgaben linker Politik zur Vorbereitung des zweiten Weges prinzipiell die gleichen, so daß auch beim Verfehlen des ersten Weges die Arbeit nicht umsonst ist.

Was veranlaßt zu der Hoffnung, daß sich überhaupt ein ausreichend großer Teil der Kapitalisten dazu bewegen lassen sollte, und damit gegen seine vermeintlich ureigensten Interessen zu verstoßen ?

Des Ende des Kapitalismus ist unvermeidlich. Die Kapitalisten müssen also früher oder später sowieso ihr Privileg aufgeben, aus Privateigentum an den Produktionsmitteln Einkommen zu erzielen. Wenn sie sich an diesem unvermeidlichen Prozeß aus einer noch funktionierenden kapitalistischen Marktwirtschaft heraus beteiligen, in der sie noch wirtschaftliche Macht und damit auch politischen Einfluß besitzen, haben sie noch Einfluß auf diesen Prozeß und können für sich annehmbare Übergangsbedingungen aushandeln. Sollte dieser Prozeß allerdings erst aus einer ernsthaften Krisensituation heraus erfolgen, wird dieser schwer beherrschbar mit offenem Endergebnis. Das kann dann nicht nur ihre Privilegien beseitigen, sondern auch ihre physische Existenz bedrohen.

Kapitalisten sind nicht nur Profitmacher. Sie sind Menschen, die leben wollen und die auch wollen, daß ihre Nachkommen noch vernünftig leben können. Mit der Einsicht der historischen Notwendigkeit des Untergangs der kapitalistischen Marktwirtschaft gehört der Übergang zu einer stabileren Gesellschaftsordnung auch zu ihren eigentlichen langfristigen Interessen.

Ihr aktuelles Interesse am Profit basiert dagegen auf der Illusion, es könnte immer so weiter gehen bzw. es basiert auf der Annahme, es wird vielleicht nicht immer so bleiben, aber laßt uns bis dahin noch unsere Privilegien nutzen, wenn es dann mal anders kommt, wird es schon nicht so schlimm werden. Diese Illusionen müssen den Kapitalisten genommen werden

Damit ergibt sich eine sehr wichtige aber auch sehr schwierige Aufgabe für linke Politik. Die Überzeugung der Unbeständigkeit des Kapitalismus, egal in welcher Spielart, muß in das Bewußtsein der gesamten Bevölkerung getragen werden, nicht nur in des Bewußtsein der Arbeiter. Damit diese Erkenntnis wegen fehlender Alternativen nicht verdrängt wird, gehört dazu, daß auch eine plausible Alternative angeboten wird. Das ist besonders wichtig für Menschen, die sich aus intellektuellen Überzeugungen heraus linken Bewegungen anschließen. Mit meinem Konzept einer sozialistischen Marktwirtschaft hoffe ich, eine plausible Alternative anbieten zu können.

Diese Aufgabe zu lösen, heißt in der traditionellen marxistischen Terminologie die Schaffung der subjektiven Voraussetzungen für eine Revolution. An der Lösung dieser Aufgabe durch weitere Forschungs- und Bildungsarbeit maßgeblich mitzuwirken muß u.a. eine Hauptaufgabe der Rosa-Luxemburg-Stiftung sein.

Die Erfahrungen mit dem Staatssozialismus haben gezeigt, daß die Arbeiterklasse nicht allein in der Lage war, die von Marx ihr zugewiesene historische Rolle als treibende revolutionäre Kraft auszufüllen. Trotzdem darf sie im nächsten Versuch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden, ihre ureigensten Interessen, wenn schon nicht allein, so doch maßgeblich mit zu vertreten. Deshalb muß es Aufgabe linker Intellektueller bleiben, die Probleme und die Weiterentwicklung sozialistischer Ideen nicht nur intern zu diskutieren, sondern auch in leicht verständlicher aber korrekter Form, allen Schichten der Bevölkerung plausibel zu machen. Eine bessere politische Bildung der Arbeiterklasse ist auch notwendig, um die Bereitschaft zur Einsicht bei den Kapitalisten zu befördern. Wenn diese nämlich merken, daß sich unter den Arbeitern wieder ein Bewußtsein breit macht, daß erkennen läßt, daß sie sich die kapitalistischen Verhältnisse nicht mehr auf Dauer gefallen lassen, werden sie eher einsehen, daß es sinnvoll ist kooperativ zu sein.

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