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3.4 Technologischer Fortschritt

In den vorangegangen Überlegungen wurde nur von einem gegebenen Stand der Entwicklung der Produktivkräfte ausgegangen und untersucht, in welcher Weise sie genutzt werden können. Es herrscht Konsens darüber, daß technologischer Fortschritt die Wirtschaftsentwicklung wesentlich beeinflußt und deshalb hier nicht übergangen werden kann. Er hat positive als auch negative gesamtgesellschaftliche Auswirkungen.

Positive sind ein Anwachsen der Produktivität der Produktivkräfte. Das heißt, daß der Anteil des Mehrwerts am gesamtgesellschaftlichen Nettoprodukt größer wird. Damit wird der Bereich größer in dem sich die Gesellschaft frei entscheiden kann für mehr oder weniger zusätzlichen Konsum und/oder mehr proportionales Wirtschaftswachstum, einschließlich Bevölkerungswachstum. Damit könnte sich über einen gewissen Zeitraum der Bereich optimaler Entwicklungspfade erweitern, wie in Abbildung 2 prinzipiell dargestellt.

Negative Erscheinungen am technologischen Fortschritt sind negative Nebenwirkungen auf Mensch und Umwelt, die soweit gehen können, daß der vermeintliche Fortschritt nicht mehr als solcher bezeichnet werden kann. Z.B. hat sich die Energiegewinnung in Kernkraftwerken als so riskant erwiesen, daß diese mit hohem Aufwand wieder abgeschafft werden soll. Solche Erscheinungen sind natürlich zu minimieren.

Eine weitere ambivalente Erscheinung technologischen Fortschritts ist, daß durch neue oder verbesserte Produktionsverfahren in der Regel Strukturveränderungen in der Wirtschaft erforderlich werden. Das erfordert Umstellungsaufwand. Es erfordert aber insbesondere auch ein Wirtschaftssystem, daß ständig das Bestreben hat sich erneut zu optimieren, um die ständigen Störungen, die unter anderem maßgeblich durch laufenden technischen Fortschritt entstehen, abzufangen und so den Fortschritt auch wirksam werden zu lassen.

Technologischer Fortschritt, insbesondere die wichtigen Erfindungen, haben auch noch eine andere Eigenart. Es können zwar günstige Bedingungen geschaffen werden, für die Entstehung neuer Entdeckungen und Erfindungen, sie können aber nicht erzwungen werden. Auch wenn die letzten 200 Jahre Technikentwicklung uns daran gewöhnt haben, daß immer wieder neue Erfindungen einen gewaltigen technischen Fortschritt ermöglichten, gibt es keinen Grund anzunehmen, daß auch zukünftig immer rechtzeitig eine wichtige neue Entdeckung oder Erfindung einen Wachstumsschub ermöglicht, insbesondere Wachstum ohne ständiges Anwachsen des Ressourcenverbrauchs. Statt dessen ist damit zu rechnen, daß frühere Entwicklungen sich heute als Flop erweisen und nachträglich einen erheblichen Aufwand zur Schadensbeseitigung oder –begrenzung erfordern, so daß mindestens zeitweilig Stagnation oder sogar negatives Wirtschaftswachstum erforderlich ist. Deshalb müssen wir unser Wirtschaftssystem so organisieren, daß es nicht auf ständiges Wachstum angewiesen ist, um zu funktionieren.

Technologischer Fortschritt ist nicht gleich technologischer Fortschritt und muß differenziert bewertet werden.

Extensives Wachstum: Eine heute sehr gebräuchliche Methode, mit möglichst geringem wissenschaftlichen Aufwand die Produktion von Mehrwert zu erhöhen, besteht darin, die bekannten Technologien dahingehend auszureizen, daß im wesentlichen nur größere Maschinen oder Produktionsanlagen gebaut werden, so daß bei gleichem Bedienaufwand durch die gleiche oder eine geringere Anzahl an Arbeitskräften mehr produziert werden kann. Dieser erhöhte Mehrwert könnte natürlich auch den zusätzlichen Konsum der Bevölkerung erhöhen. Da durch diese Entwicklungsstrategie allerdings das Volumen des Produktionsmittelstocks zunächst wesentlich wächst, muß zunächst ein großer Teil des Mehrwerts für Investitionen verbraucht werden. Diese Entwicklungsstrategie ist verlockend für die Unternehmer innerhalb einer kapitalistischen Marktwirtschaft, weil sich damit eine offensichtliche "Notwendigkeit" ergibt für größeren Reichtum der Produktionsmitteleigentümer. Da mit dieser Entwicklungsstrategie sich laufend die organische Zusammensetzung von konstantem und variablem Kapital zu Ungunsten des variablen Kapitals entwickelt, sinkt die Profitrate, wie Marx bereits nachwies, was die Kapitalisten dann wieder grämt. Außerdem ist diese Entwicklungsstrategie mit einem extensiven Ansteigen der Benutzung und des Verbrauchs natürlicher Ressourcen verbunden, so daß sehr schnell Grenzen des Wachstums erreicht sind oder auch überschritten werden, mit zukünftigen verheerenden Auswirkungen. Das ist der entscheidende Grund, warum diese Wachstumsstrategie aus gesamtgesellschaftlicher Sicht abzulehnen ist, weil sie keine dauerhafte Entwicklung zuläßt und unsere Nachkommen dafür büßen müssen.

Eine andere Strategie orientiert auf intensives Wachstums. Hier ist das Ziel, ohne Verbrauch von mehr Ressourcen durch neue Technologien Güter und Dienstleistungen zu produzieren, die qualitativ besser unsere Bedürfnisse befriedigen. Dazu sind aber in der Regel größere wissenschaftliche Aufwendungen erforderlich. Das heißt, daß bei einem begrenzten zur Verfügung stehenden Entwicklungspotential (als Teil des von der Gesellschaft produzierten Mehrwerts) eine langsamere Entwicklung stattfindet.

Sehen wir uns nun das oben bereits dargestellte Zahlenbeispiel noch einmal an. Hier stellt der Fall 1 zunächst ein wirtschaftliches Gleichgewicht ohne jegliches Wachstum dar mit einem maximalen zusätzlichen Konsum. Dieser zusätzliche Konsum muß aber nicht nur als reiner Luxus verbraucht werden. Da er relativ groß ist, dürfte es kein Problem sein, einen angemessenen Teil sowohl in Grundlagen- als auch in angewandte Forschung zu stecken, die dann der gesamten Gesellschaft zugänglich ist. Damit könnte das Zahlenbeispiel auch eine intensive Wirtschaftsentwicklung repräsentieren, wobei sich die in Geld bewerteten Parameter nach einiger Zeit etwa in folgender Weise verändern:

altneu
Ln=10.000DM/Jahr5.000DM/JahrSinkender Wert für notwendigen Konsum
B=50.000DM50.000DMWert der langlebigen Konsumgüter gleichbleibend
K=200.000DM200.000DMWert der Produktionsmittel gleichbleibend
W=25.000DM/Jahr30.000DM/JahrWachsender Wert der Nettoproduktion

Damit würden sich Entwicklungspfade gemäß Abbildung 2 ergeben, die zukünftig einen noch größeren zusätzlichen Konsum zulassen, aber bei Bedarf auch ein größeres extensives Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. D.h. der relativ freie Entscheidungsspielraum der Gesellschaft erweitert sich.

Hinter den in unserem Beispiel konstant gebliebenen 200.000 DM Produktionsmittelvolumen steckt nach so einem intensiven technologischen Entwicklungsprozeß natürlich ein anderes physisches Produktionsmittelsortiment, welches ein höheres Niveau der Entwicklung der Produktivkräfte verkörpert. Der Wert des Produktionsmittelvolumens ist nur konstant geblieben, weil die für die Produktion dieser Produktionsmittel erforderliche Arbeitszeit konstant geblieben ist.

Derartige intensive Wirtschaftsentwicklung muß in Zukunft angestrebt werden. Allerdings hat die kapitalistische Gesellschaft damit ein Problem, weil hier kaum Profit zu machen ist, ohne das Wirtschaftssystem aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Zusammenfassung: Die bisher dargelegten Aussagen beziehen sich nur auf mögliche Entwicklungspfade, die sich aus dem Stand der Entwicklung der Produktivkräfte ergeben. Bei der Beurteilung bestehender Wirtschaftssysteme und der Suche nach verbesserten kommt es nun darauf an zu zeigen, wie diese Systeme in der Lage sind, innerhalb dieses Bereiches zu navigieren, bzw. ob sie überhaupt in der Lage sind, in diesen Bereich zu gelangen. Dafür sind die Produktionsverhältnisse verantwortlich, die die Eigenbewegung des Systems bestimmen und gesellschaftliche Eingriffe ermöglichen oder behindern.

Meine Darlegungen haben auch gezeigt, daß man nicht von Wirtschaftswachstum schlechthin sprechen kann und dieses dann auch nicht pauschal als gut oder schlecht bewerten kann. Statt dessen gibt es viele Entwicklungspfade, die verschieden wachsende Bestandteile enthalten können. Entscheidend ist, was im Sinne einer positiven gesamtgesellschaftlichen Entwicklung dabei erreicht wird.

Ich möchte zum Schluß noch darauf aufmerksam machen, daß ich im Interesse eines möglichst leichten Verständnisses in meinem Zahlenbeispiel sehr stark vereinfachend nur mit aggregierten bereits in Geld bewerteten Parametern operiert habe, wie das in den makroökonomischen Darstellungen üblich ist. Eigentlich bin ich gegen diese Art der Abstraktion, weil dadurch das Gesamtverständnis optimaler oder nicht optimaler Wirtschaftsstrukturen verloren geht. So können in meinem Beispiel die Zahlen im Fall 1 sowohl für eine Wirtschaftsstruktur mit einfacher Reproduktion ohne Entwicklung, als auch für intensive Entwicklung stehen. Wenn man diese also richtig interpretieren will, muß man die Hintergründe schon kennen. Dazu ist es aber erforderlich mit Modellen zu operieren, wie sie in [6] entwickelt wurden.

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