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11.3 In der Tagespolitik die Voraussetzungen für die Transformation schaffen

Entsprechend dem in Abschnitt 9.4 angegebenen anzustrebenden Szenarium einer friedlichen Revolution und den bereits oben gemachten Überlegungen ergeben sich folgende politische Schwerpunkte:

  1. Eintreten für ein wirksames internationales System der Friedenssicherung und für das Prinzip der friedlichen Koexistenz.
  2. Eintreten für den Erhalt und für die Verbesserung bürgerlich-demokratischer Grundrechte.
  3. Eintreten für mehr Demokratie und möglichst hohe soziale Standards im zukünftigen vereinten Europa.
  4. Eintreten für verbindliche internationale Verträge zu Begrenzung des Ressourcenverbrauchs und für eine gerechte Verteilung der Nutzungsrechte an den weltweiten natürlichen Ressourcen.
  5. Schaffung bzw. Ausbau linker politischer Strukturen, die in politischer Tagesarbeit Professionalität erlangen und das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen.
  6. Förderung gesellschaftswissenschaftlicher Forschung und politischer Bildung.

Die Grundsätze 1 bis 4 sind nicht nur eine Voraussetzung, um daraus den Übergang zu einer sozialistischen Marktwirtschaft vorzubereiten. Sie sind auch eine Voraussetzung dafür, die noch existierende kapitalistische Marktwirtschaft einigermaßen erträglich und funktionsfähig zu halten. Damit könnte man annehmen, daß sie für die sozialistische Bewegung zweischneidig sind, weil sie das bestehende System auch stabilisieren.

Das gilt aber nur mit Einschränkungen. So sehr sich auch Sozialisten einen demokratischen Sozialismus als neue Gesellschaftsordnung wünschen, sollten sie alles unterlassen, was die kapitalistische Gesellschaftsordnung instabil macht, denn die ist von sich aus schon instabil genug. So lange die Mehrheit der Bevölkerung noch nicht dafür ist, einen demokratischen Sozialismus aufzubauen, ist es besser, die alte kapitalistische Marktwirtschaft tut noch einigermaßen ihren Dienst und das mit möglichst demokratischen Strukturen.

Die linke Bewegung ist zur Zeit nicht die stärkste politische Kraft. Deshalb ist sie auch nicht in der Lage allein die politische Praxis zu bestimmen. Die o.g. Regeln, die auch die politischen Verhältnisse innerhalb des Kapitalismus stabilisieren, haben die Chance in dieser Gesellschaft mehrheitsfähig zu sein. Das ist ein Chance für linke Politik, so daß die Vorteile im wesentlichen überwiegen.

Nachfolgend noch einige Erläuterungen zu den politischen Schwerpunkten:

Zu 1. Eintreten für ein wirksames internationales System der Friedenssicherung und für das Prinzip der friedlichen Koexistenz.

Diese Forderung ist für eine Transformation insbesondere deshalb wichtig, weil davon auszugehen ist, daß sich die Möglichkeiten einer Revolution nicht weltweit gleichmäßig entwickeln wird. Durch eine feste Verankerung von Friedenspolitik in den internationalen Beziehungen, könnte eine regional begrenzte Transformation erfolgen, da nur so zwei nicht unbedingt sympathisierende Systeme parallel existieren können. Insofern hat das von Lenin propagierte Prinzip der friedliche Koexistenz weiterhin grundsätzliche Bedeutung.

Dieses Prinzip sollte aber auch als universelles Prinzip verstanden werden, so daß es nicht nur gelten soll zwischen einem sozialistischen und einem kapitalistischen Lager, denn falls kapitalistische Staaten untereinander wieder Krieg führen, ist das weder gut für die menschliche Gesellschaft überhaupt, noch für die Entwicklungsmöglichkeiten einer demokratischen und friedlichen linken Bewegung.

Es muß eine internationale Toleranz für gesellschaftliche Entwicklungen in verschiedene Richtungen entstehen, denn wenn wir es ernst meinen, mit der These, daß die gesellschaftliche Entwicklung nicht linear verläuft, sondern offen ist für verschiedene Richtungen, dann müssen wir auch dafür eintreten, daß verschiedene Richtungen zugelassen werden, die in einen friedlichen Wettstreit treten. Wieviel parallele Entwicklungsrichtungen auf unserer "kleiner werdenden" Erde zukünftig noch möglich sein werden, muß die Zukunft zeigen

Was allerdings nicht zugelassen werden darf, sind regionale Entwicklungen aggressiver Strukturen, die andere Regionen bedrohen. An dieser Stelle hört die Toleranz auf.

Die aktuellen internationalen Strukturen, wie die UNO, sind heute noch nicht dazu in der Lage, diese Aufgabe zuverlässig zu erfüllen. Es darf nicht sein, daß sich eine Nation, wie die USA, oder eine Organisation, wie die NATO, als Weltgendarm aufspielt und im Namen der Humanität den Krieg wieder zum legitimen politischen Mittel macht. Nur eine starke Weltorganisation, die aber keine Weltregierung sein soll, darf über ein Beschlußmonopol für militärische Maßnahmen als letztes Mittel und nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen verfügen. Die militärischen Kräfte sollten dabei aber weiterhin dezentral unter nationalen Hoheiten bereitgehalten werden. Nach einer radikalen internationalen Abrüstung wäre es auch denkbar, daß der Rest des notwendigen verbleibenden internationalen Gewaltpotentials sich auf Polizeikräfte beschränken konnte. Ansonsten dürften in einem ernsthaft auf Frieden orientierten internationalen Klima in der Regel politische (nicht militärische) und wirtschaftliche Maßnahmen ausreichen, um lokalen aggressiven Entwicklungen vorzubeugen.

Zu 2. Eintreten für den Erhalt und für die Verbesserung bürgerlich-demokratischer Grundrechte.

Sollte die kapitalistische Gesellschaft z.B. in faschistische Strukturen oder andere intolerante Formen zurückfallen, dürfte es schwer sein, linke politische Strukturen zu entwickeln.

Indem die linke Bewegung bürgerlich-demokratische Rechte nutzt, um sich zu formieren, muß sie auch wiederholt und unmißverständlich klar machen, daß sie diese nicht dazu benutzen wird, um selbst irgendwann wieder diktatorische Verhältnisse einzuführen. Das schließt auch ein, daß Sozialisten bei Versagen ihres Systems bereit sind, gewaltlos wieder abzutreten. Daß sie dazu in der Lage waren, haben sie bereits mit der friedlichen Wende 1989 in der DDR und auch in anderen Ländern gezeigt. Die Kapitalisten müssen erst noch beweisen, ob sie bei einer eindeutigen Mehrheit der Bevölkerung für eine sozialistische Gesellschaftsordnung in der Lage sind, friedlich abzutreten. Schon oft haben sie das Gegenteil bewiesen.

Zu 3. Eintreten für mehr Demokratie und möglichst hohe soziale Standards im zukünftigen vereinten Europa.

Die treibenden Kräfte der Vereinigung Europas sind in erster Linie Vertreter europäischer Konzerne, die sich davon ein einheitliches Wirtschaftsgebiet zur Verbesserung ihrer Kapitalverwertung versprechen und außerdem ein wirtschaftlich starkes Gegengewicht gegen die Vormachtstellung der USA. Dementsprechend sind auch die politischen Schwerpunkte dieses Prozesses gewählt, nämlich eine einheitliche starke Währung und der Abbau von Hindernissen im Waren und Kapitaltransfer. Dagegen sind Fragen der Angleichung sozialer Standards und der Bildung gesamteuropäischer demokratischer Strukturen unterbelichtet. Für linke Politiker besteht nun die Frage, ob sie diesen Prozeß ablehnen oder mit einer anderen Schwerpunktsetzung unterstützen sollen. Unter dem Gesichtspunkt, daß Europa eine Region ist mit einem hohen Entwicklungsstand der Produktivkräfte und mit praktischen sozialistischen Erfahrungen, könnte diese Region als erste für den nächsten Sozialismusversuch in Frage kommen. Als wirtschaftliche und politische Einheit hätte dann ein vereinigtes Europa wahrscheinlich eine ausreichende Größe, um diesen Prozeß wenigstens zeitweilig allein durchzustehen und für nachfolgende eine Vorreiterrolle zu spielen. Aus diesem Grund sollte die Vereinigung Europas prinzipiell unterstützt werden, aber mit anderen Schwerpunkten.

Zu 4. Eintreten für verbindliche internationale Verträge zur Begrenzung des Ressourcenverbrauchs und für eine gerechte Verteilung der Nutzungsrechte an den weltweiten natürlichen Ressourcen.

Verstärkter Naturschutz ist grundsätzlich eine dringende gesellschaftliche Aufgabe, egal welches Gesellschaftssystem herrscht und muß schon deswegen unterstützt werden.

Eine sozialistische Marktwirtschaft muß grundsätzlich und von Anfang an für den Schutz der Natur und Sparsamkeit in der Ressourcennutzung eintreten, weil sie sonst ihre Glaubwürdigkeit verliert. Wenn sich in der Phase paralleler Existenz verschiedener Systeme ein System nicht wenigstens an einige Grundregeln des Naturschutzes hält und sich damit kurzfristig erhebliche wirtschaftliche Vorteile verschafft, wird der Wettbewerb der Systeme stark verzerrt. Außerdem profitiert das umweltzerstörende System von den Einsparungen des umweltschützenden Systems, besonders bei den Ressourcen, die überregional nutzbar sind.

Die Notwendigkeit des Naturschutzes hat inzwischen in der Öffentlichkeit eine erhebliche Akzeptanz. Das Einbringen der Idee eines Ressourcenmarktes mit eigener Währung und Nutzungsrechten für alle könnte ein Vorschlag sein, der Akzeptanz findet bei vielen, die noch nicht Anhänger sozialistischer Ideen sind. So könnten sozialistische Ideen wieder an Attraktivität gewinnen. Sollte es gelingen für einige wichtige Ressourcen diese Idee auch schon wenigstens teilweise zu verwirklichen, wäre das ein erster Schritt in Richtung Transformation.

Zu 5. Schaffung linker politischer Strukturen, die in politischer Tagesarbeit Professionalität erlangen und das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen.

Es bleibt das Problem, daß sich unter länger andauernden bürgerlich-demokratischen Verhältnissen zwar politisch starke linke Strukturen etablieren, aber dieser Apparat aufgrund der lange andauernden sozialdemokratischen Tagespolitik in seinem Willen erschlafft, tatsächlich eine neue gesellschaftliche Qualität zu realisieren. Diesen Weg sind die heutigen sozialdemokratischen Parteien bereits gegangen und auch die PDS ist davor nicht gefeit. Diesen Weg zu verhindern ist ureigenste Aufgabe der Parteibasis, denn Apparate haben immer die Tendenz, sich mit sich selbst zu beschäftigen und sich von ihren Ursprüngen zu entfernen. Die Genossen aus der Basis sollten das aber nicht in der Weise bewerkstelligen, daß sie erst einmal die Genossen in den Leitungsgremien machen lassen und dann irgendwann mißtrauisch einsame Entscheidungen abstrafen, sondern es muß sich eine möglichst breite Basis aus eigener Initiative ständig einmischen, so daß ein kameradschaftliches Verhältnis zwischen Basis und Leitungsebenen erhalten bleibt. Ohne diese politische Kultur sind die Mühen der Ebene nicht zu bewältigen.

Wenn möglich sollten sich linke Strukturen nicht nur in die übliche bürgerlichen Parteilandschaft einpassen, sondern auch nach neuen Möglichkeiten suchen. Außerparlamentarische Arbeit muß weiter als Schwerpunkt angesehen werden.

Zu 6. Förderung gesellschaftswissenschaftlicher Forschung und politischer Bildung.

Natürlich ist es ein Schwerpunkt linker gesellschaftswissenschaftlicher Forschung sozialistische Alternativen vorzudenken und zwar weitgehend unabhängig von tagespolitischen Ereignissen und aktuellen Realisierungschancen. Dazu soll ja auch die hier vorgelegte Arbeit einen Beitrag leisten.

Ich habe mich auf eine konkrete Richtung konzentriert, nämlich auf die Entwicklung von Ideen für eine sozialistische Marktwirtschaft. Die Theoretiker der linken Bewegung insgesamt, sollten sich aber nicht nur auf eine Richtung konzentrieren, sondern ihre Überlegungen in verschieden Richtungen lenken, und auch für fremde kreative Ideen ein offenes Ohr haben. Das heißt aber auch nicht in Beliebigkeit zu verfallen und jedes oberflächliche Geschwätz als ernsthafte Meinung gelten zu lassen. Es werden sich immer wieder nur einige wenige erfolgversprechende Richtungen herausbilden, die dann ernsthaft untersucht und weiter entwickelt werden sollten.

Im täglichen politischen Geschäft und dementsprechend auch in den Medien wird in der Regel in zu kurzen Schlußfolgerungen argumentiert. Auf diese Weise werden bruchstückhafte Denkmuster bürgerlicher Theorien mit einer Selbstverständlichkeit als unumstößliche Wahrheiten laufend wiederholt, so daß sie sich tief in das Bewußtsein vieler Menschen eingegraben haben. Dem ist durch qualifiziertere Argumentationen linker Politiker in der Öffentlichkeit und durch Bildungsangebote zu begegnen. Leider sind die linken Antworten unterschwellig manchmal selbst von diesem halbwahren bis falschen Gedankengut infiziert.

Dazu einige Beispiele bürgerlicher Plattheiten:

Oft wird die bürgerliche Ideologie bereits durch die Wahl der Begriffe transportiert.

Und jetzt noch eine pseudo-linke Antwort:

Mit meiner Ansicht, das Rentenalter nicht zu senken, begebe ich mich formal in die Nähe des ehemaligen CDU-Arbeitsministers, das Renten alter hoch zu setzen. Der meint damit allerdings, daß nur später Rente gezahlt wird, hat aber kein Programm dafür, wie innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, die er für selbstverständlich voraussetzt, eine Beschäftigung bis ins höhere Alter sozial verträglich gesichert werden kann. Das Problem der Einkommenslücke zwischen Entlassung und Beginn der Rentenzahlung würde dann Privatsache der Arbeiter.

Das Beispiel zeigt, daß kurze Sprüche meist nicht geeignet sind, Probleme und ihre Lösung plausibel und ausreichend korrekt darzustellen.

Die Argumentation gegen diese Sprechblasen ist eine Möglichkeit und eine Notwendigkeit mit der linke Vorstellungen schrittweise, immer wieder in die öffentliche Debatte eingebracht werden können, um so langsam Fuß zu fassen. Voraussetzung ist allerdings, daß die Argumentationen trotz der Notwendigkeit für alle verständlich zu sein, auch korrekt sein müssen. Dazu ist wiederum Voraussetzung, daß linke Politiker aber auch alle anderen Anhänger der linken Bewegung sich selbst erst einmal Klarheit über mögliche Lösungen verschaffen.

In diesem Sinne ist gesellschaftswissenschaftliche Forschung und Bildung sowohl eine Vorarbeit für künftige linke Politik, als auch ein Stück aktuelle Tagespolitik.

Zusammenfassung: Nach meiner Meinung ist die Tagespolitik, die die PDS zur Zeit betreibt prinzipiell richtig, auch wenn sie sich in ihren konkreten Aktionen nur gering von traditioneller sozialdemokratischer Politik unterscheidet, da zur Zeit nicht mehr durchsetzbar ist. Ihr Problem besteht aber darin, daß es ihr auf dem langen beschwerlichen Weg der alltäglichen politischen Tagesarbeit gelingen muß, ihrem strategischen Ziel eines echten demokratischen Sozialismus auch durch konkrete Politik näher zu kommen und ihn nicht als eine schöne Utopie auf niemals zu verschieben. Wenn sie ihr strategisches Ziel aufgibt, wird sie zu einer weiteren und damit überflüssigen sozialdemokratischen Partei. Mit meinen Konzept für eine sozialistische Marktwirtschaft möchte ich hiermit einen Lösungsvorschlag machen, um damit das strategische Ziel der PDS zu konkretisieren und damit den strategischen Bemühungen neuen Auftrieb zu geben.

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