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11.2 Neben der Tagespolitik das Konzept eines demokratischen Sozialismus vordenken und die Ideen in die gesamte Gesellschaft hineintragen

Wie oben bereits ausgeführt wurde, ist Sozialismus eine Gesellschaftsordnung, die nur durch bewußte politische Veränderungen entsteht und sich nicht spontan aus einer herangereiften Situation entwickelt. Deshalb darf theoretische Arbeit in der linken Politik nicht unterschätzt werden, was nach meiner Wahrnehmung in der PDS leider noch der Fall ist.

Die Tagespolitik wird stets den Hauptanteil der politischen Aktivitäten binden. Trotzdem muß es gelingen, parallel dazu strategische theoretische Arbeit zu leisten, also linke gesellschaftswissenschaftliche Forschungs- und Bildungsarbeit. Wenn es innerhalb der PDS gelingen sollte, ca. 90% der Aktivitäten für Tagespolitik und ca. 10% für strategische theoretische Arbeit zu mobilisieren, würde ich das für ein gesundes Verhältnis halten. Sicher können hier die parteinahen Stiftungen einige Verbesserungen bringen.

Da linke Ideen und erfolgreiche linke Politik nicht nur Sache einer oder mehrerer linker Parteien sein kann und die Ideen ohnehin in alle Klassen und Gruppen der Bevölkerung getragen werden müssen, ist es sinnvoll im gesamten gesellschaftswissenschaftlichen Potential, insbesondere an den Hochschulen, Partner für eine Mitarbeit an der Erarbeitung gesellschaftlicher Alternativen zum Kapitalismus zu gewinnen.

Es wird immer Genossen geben, die entweder mehr zur Arbeit in der Tagespolitik oder mehr zur Arbeit auf theoretischem Gebiet neigen. Da jede Aufgabe für sich meist mehr Zeit und Kraft abverlangt, als ein einzelner leisten kann, insbesondere bei den ehrenamtlichen Funktionen, ergibt es sich automatisch, daß eine gewisse Tendenz zur Teilung in Theoretiker und Praktiker entsteht. Deshalb ist bewußt darauf zu achten, daß innerhalb der Partei zwischen diesen Gruppen ein Verhältnis der gegenseitigen Achtung und des Respekts vor der Leistung der anderen erhalten bleibt. Anlaß zu Mißverständnissen und Irritationen gibt es genug. So sind die Theoretiker leicht geneigt, die Praktiker für prinzipienlose Pragmatiker zu halten, die bei ihren Kompromissen des große Ziel aus den Augen verlieren. Die Praktiker neigen dagegen leicht dazu, die Theoretiker für abgehoben und weltfremd zu halten und fragen sich manchmal, ob die ganze Theorie überhaupt etwas nützt, denn wenn die Praktiker in schwierigen tagespolitischen Fragen von den Theoretikern Hilfe erhoffen, kommt meist wenig konkretes und sie müssen weiter improvisieren.

Wegen der berechtigten Befürchtung, daß längjährige Amtszeiten der Berufsfunktionäre die innerparteiliche Demokratie beschädigen können, gibt es auch in der PDS Festlegungen zu Begrenzung von Amtszeiten. An dieser Stelle möchte ich mich nicht in die übliche Diskussion des Für und Wider einer Amtszeitbegrenzung per Statut einmischen. Ich möchte nur auf einen bisher wenig beachteten Aspekt einer Rotation in den Funktionen aufmerksam machen: Partei- und parlamentarische Funktionen sind meist in der Tagespolitik angesiedelt und lassen wenig Zeit für das Nachdenken über langfristige Probleme. Deshalb tritt bei langen Amtszeiten ein strategisches Defizit auf. Deshalb sollten wir darüber nachdenken, wie durch möglichst freiwillige Amtszeitbegrenzungen insbesondere unsere Berufsfunktionäre Zeiträume gewinnen, in denen sie mit den Erfahrungen aus ihrer Amtszeit neu über langfristige theoretische Fragen nachdenken können. In diesem Sinne hoffe ich, daß die beiden herausragenden Persönlichkeiten der PDS Lothar Bisky und Gregor Gysi mit ihrem Rücktritt in diese Richtung ein gutes Beispiel abgeben, und sich in nächster Zeit ohne Zeitdruck mit strategischen Fragen linker Politik befassen. Wir sollten sie aber nicht durch eine zu große Erwartungshaltung und Hoffnung auf kurzfristige Resultate unter Druck setzen. Kreativität braucht Zeit.

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