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5 Erfahrungen aus dem Staatssozialismus

5.1 Staatseigentum an den Produktionsmitteln und zentrale Planwirtschaft

Marx und Engel kamen bei der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft bereits vor mehr als 150 Jahren zu dem Schluß, daß das Privateigentum an den Produktionsmitteln die wesentliche Ursache ist für die Polarisierung der Gesellschaft in Arme und Reiche und für die sich ständig wiederholenden Wirtschaftskrisen. Deshalb schrieb Engels in "Grundsätze des Kommunismus" [3] bereits 1847: "Die Abschaffung des Privateigentums ist sogar die kürzeste und bezeichnendste Zusammenfassung der aus der Entwicklung der Industrie notwendig hervorgehenden Umgestaltung der gesamten Gesellschaftsordnung und wird daher mit Recht von den Kommunisten als Hauptforderung hervorgehoben." Diese Forderung ist nach meinen eigenen Untersuchungen und meiner heutigen Überzeugung nach wie vor richtig. Sie wurde von den ehemaligen sozialistischen Staaten im wesentlichen realisiert.

Diese Forderung ist aber zunächst nur destruktiv, d.h. sie fordert nur die Beseitigung einer gesellschaftlichen Erscheinung. Wichtig ist, was an dessen Stelle treten soll. Engels schreibt in der gleichen Quelle: " ..., so wird das Proletariat sich gezwungen sehen, immer weiter zu gehen, immer mehr alles Kapital, allen Ackerbau, alle Industrie, allen Transport, allen Austausch in den Händen des Staates zu konzentrieren." [4] Auch diese Forderung wurde von den ehemaligen staatssozialistischen Staaten realisiert.

Marx und Engels gingen damals davon aus, daß der Klasse der Kapitalisten voraussichtlich nur gewaltsam die wirtschaftliche und die politische Macht zu entreißen ist, auch wenn Gewalt nicht der angestrebte Weg der Kommunisten sei. Deshalb sollten in dieser Übergangsphase die Produktionsmittel in die Hände einer zentralen politischen Macht, des Staates.

Die Aussagen stammen aus einem Text in dem Engels seine Vorstellungen des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus darlegt. Indem Marx und Engels in einer fortgeschrittenen Entwicklungsphase des Kommunismus vom Absterben des Staates sprechen, geben sie aber zu erkennen, daß sie das Staatseigentum an den Produktionsmitteln offensichtlich nicht als die endgültige Eigentumsform in einer kommunistischen Gesellschaft sehen. Wie nach ihren Vorstellungen diese Eigentumsformen später konkret aussehen sollten, dazu habe ich bisher keine weiteren Aussagen gefunden.

Weil Marx und Engels das Privateigentum an den Produktionsmitteln als das wesentliche Hindernis ansahen, was die Menschen daran hindert, die gesellschaftliche Produktion im Interesse aller vernünftig zu organisieren, gingen sie möglicherweise davon aus, daß nach Wegfall des Privateigentums an den Produktionsmitteln die Einsicht in die gesellschaftlichen Notwendigkeiten der überwiegenden Masse der Bevölkerung und damit eine allgemeine kollektive Vernunft ausreichen könnte, um die Wirtschaft zu organisieren und formulierten das Prinzip der Planwirtschaft. Damit haben sie offenbar von ihren eigenen Fähigkeiten und menschlichen Qualitäten ausgehend, die "normalen" Menschen überschätzt. Engels schreibt: "... daß sie eine ganz neue Organisation der Gesellschaft durchaus notwendig macht, in welcher ... die ganze Gesellschaft nach einem festen Plan und nach den Bedürfnissen aller die industrielle Produktion leitet." [5]

Sowohl das Staatseigentum an den Produktionsmitteln als auch die zentrale staatliche Planung und Leitung der Wirtschaft wurde in den bisherigen sozialistischen Staaten zum ständigen Prinzip, weswegen ich in meinen Ausführungen diesen Versuch einer sozialistischen Gesellschaftsordnung kurz als Staatssozialismus bezeichne.

Es gab einige wenige Versuche durch verschiedene Reformen, z.B. das "neue ökonomische System" in der DDR in den 60-er Jahren, dieses Dogma wenigsten teilweise aufzubrechen, den Betrieben mehr Eigenverantwortung zu übergeben und so im Sozialismus wieder mehr Markt zuzulassen. Aus Angst, dadurch die Kontrolle über das System zu verlieren und nicht mehr beherrschbare Prozesse damit auszulösen, wurden diese Versuche aber alle bereits nach ersten zaghaften Schritten wieder abgebrochen.

Damit sind wir bei den nach meiner Meinung wesentlichen Problemen des Staatssozialismus. Die gesamte Volkswirtschaft ist faktisch ein einziger Konzern. Der Staat ist die oberste Wirtschaftsleitung. Gleichzeitig ist der Staat die Legislative, die sich selbst die Spielregeln vorgibt und das Kontrollorgan, welches sich selbst kontrolliert. Der Staat hat in weitgehender Personalunion mit der herrschenden Partei eine derart uneingeschränkte Machtfülle erhalten, so daß der relativ geschlossene Personenkreis, der an der Macht beteiligten, nicht nur die Macht hatte, Vernünftiges im Interesse breiter Kreise der Bevölkerung zu tun, sondern auch willkürlich Unsinn zu machen, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Damit verlor die Politikerkaste den Kontakt zur Bevölkerung und hat deren Probleme nicht mehr ausreichend wahrgenommen.

Während die Monetaristen im Kapitalismus möglichst alles der angeblich selbstregelnden Kraft des Marktes überlassen wollen, fielen die Akteure des Staatssozialismus in das andere Extrem und wollten alles zentral planen und leiten. Es hat sich aber gezeigt, daß derart große Wirtschaftseinheiten, wie eine komplette Volkswirtschaft, nicht vollständig bis zum einzelnen Betrieb zentralstaatlich zu leiten sind. Damit sind die wirtschaftsleitenden Funktionäre intellektuell überfordert. Außerdem sind auch die fähigsten und besten Persönlichkeiten der Gesellschaft nur Menschen mit eigenen Interessen, Fehlern und Bequemlichkeiten, von denen man nicht dauerhaft erwarten kann, daß sie immer nur uneigennützig im Interesse aller handeln können, falls das überhaupt möglich ist.

Man kann auch nicht von den Menschen am untersten Ende der Hierarchie erwarten, daß sie nur als zuverlässige Befehlsempfänger funktionieren und dabei noch großen Einsatz zeigen.

Übrigens ist es kaum möglich die Eigenbewegung einer reinen Planwirtschaft mit Hilfe von Modellen zu simulieren und ihr Verhalten dementsprechend vorauszubestimmen, weil durch die Akteure praktisch alle Entscheidungen möglich sind, sowohl vernünftige als auch willkürliche und unsinnige. Die kapitalistische Marktwirtschaft mit ihren recht spontan wirkenden Marktmechanismen ist da wesentlich leichter zu fassen, wenn auch die Ergebnisse nicht erfreulich sind.

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