4.4 Das Leistungsprinzip im Kapitalismus
Der Kapitalismus versteht sich als Leistungsgesellschaft, nach dem Motto, wer viel leistet kann auch viel verdienen. Gerade bei den ganz großen Einkommen, nämlich bei den Einkommen aus Eigentum trifft das offensichtlich nicht zu. Es sind zwar auch Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich, um erfolgreich an der Börse zu spekulieren. Ob ich aber mit 1 Mill. DM einen Gewinn von 100.000 DM erziele, oder mit 100 Mill.DM einen Gewinn von 10 Mill.DM erziele, was in beiden Fällen eine Rendite von 10% darstellt, dürfte in beiden Fällen in etwa die gleiche Leistung bedeuten. Die Einkommen unterscheiden sich aber um den Faktor 100.
Auch bei den Einkommen aus Arbeit gibt es erhebliche Unterschiede. Schließlich sind auch Geschäftsführer von großen Aktiengesellschaften Angestellte, die von den Eigentümern, den Aktionären, eingestellt wurden. Damit sind auch in der Lohnarbeit Einkommensunterschiede mit dem Faktor 100 keine Seltenheit.
Diese Einkommensunterschiede sind offensichtlich nicht durch tatsächliche Leistungsunterschiede zu rechtfertigen. Wie groß gerechtfertigte Unterschiede in einer Leistungsgesellschaft sein sollten, kann ich auch noch nicht konkret sagen. Ich sehe aber im Kapitalismus zwei wesentliche Ursachen für die Verzerrung des Leistungsprinzips.
Die oberen Gehaltsgruppen sind offenbar zu hoch, weil diese Berufsgruppen, Geschäftsführer, Beamte, Politiker, maßgebliche Gehilfen zur Erhaltung des Systems sind, und weil so diese hohen Gehälter als Kaufpreis ihrer Loyalität anzusehen sind. Hinzu kommt, daß durch die hohen Einkommen aus Kapital, sehr große Einkommen als nichts ungewöhnliches angesehen werden und deshalb hohe Beamte und Politiker, die mindestens formal im Staat die oberste Macht repräsentieren, natürlich auch nach solchen Einkommen schielen und sie sich dann selbst gewähren.
Dann gibt es noch eine weitere Gruppe von extremen Einkommen für Leute, die nicht unmittelbar die Wasserträger der herrschenden Klasse sind. Das sind z.B. Spitzensportler und berühmte Künstler. Sie arbeiten in Berufen, wo der Lohn nach dem Konkurrenzprinzip "alles oder nichts" verteilt wird. Da diese Menschen oft "einfache Menschen, wie du und ich," sind, hat das den ideologischen Effekt, daß demonstriert wird, in dieser schönen Leistungsgesellschaft kann jeder alles werden. Deshalb ist auch diese Verzerrung des Leistungsprinzips erwünscht.
Auch in den unteren Gehaltsgruppen ist eine Verzerrung des Leistungsprinzips zu erkennen. Wegen des Problems der abnehmenden Profitrate, wird versucht, diese durch Herabdrücken der Löhne aufrecht zu erhalten. Da aber Mindesteinkommen zur Sicherung des Existenzminimums nicht wesentlich unterschritten werden können, werden die Einkommen eines großen Teils der Arbeiter gegen das Existenzminimum gedrückt. Diese Art der Nivellierung der Einkommen verstößt auch gegen ein vernünftiges Leistungsprinzip. Ein makaberes Resultat dieses Verstoßes des Leistungsprinzips ist die Erscheinung, das die Unternehmer nach dem sie die Löhne gedrückt haben, beklagen, daß die Unterschiede zwischen Sozialhilfe und den unteren Einkommen so gering sind, daß keiner mehr für diese niedrigen Löhne arbeiten will. Allerdings sind ihre Schlußfolgerungen, deshalb die Sozialhilfe oder andere soziale Leistungen weiter zu kürzen, die falschen.
Neben diesem "positiven" Leistungsprinzips: "Wer viel leistet, bekommt viel" gibt es auch noch das "negative" Leistungsprinzip: "Wer zu wenig leistet, fliegt raus". Es wird im Kapitalismus praktiziert durch das fehlende Recht auf Arbeit und hat seine Wirkung besonders in den unteren Einkommensgruppen. Da in den unteren Gehaltsgruppen, wie oben erläutert, das positive Leistungsprinzip nur bedingt noch zieht, ist das negative für diese Gesellschaft so wichtig.
Dieses negative Prinzip hat aber auch in den Bevölkerungsschichten mit höherem Einkommen noch seine spezielle Wirkung. Durch die bewußte Abgrenzung der Klassen und Schichten untereinander und die notwendigen Demonstrationen der Zugehörigkeit durch entsprechenden Luxuskonsum, werden die abhängigen Beschäftigen in allen Einkommensebenen erpreßbar und so an oder auch über ihre Leistungsgrenze gedrängt.
Ohne dieses negative Leistungsprinzip auszukommen ist für eine soziale Gesellschaftsordnung eine echte Herausforderung, insbesondere dann, wenn sie gegen noch bestehende kapitalistische System konkurrieren muß. Für die bisherigen sozialistischen Versuche war das ein nicht zu unterschätzendes Problem.
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