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Vorwort zum Manuskript von 1997

Der "realexitierende" Sozialismus ist als Staatsform in den meisten Länder des ehemaligen sozialistischen Lagers aufgrund von Fehlentwicklungen zusammengebrochen und mit ihm bei vielen Menschen die Hoffnung, daß Sozialismus eine realisierbare Alternative zum Kapitalismus ist. Anderseits zeigt sich im täglichen Leben, daß der Kapitalismus keines seiner Probleme gelöst hat und daß sie sich durch den Wegfall des Konkurrenten Sozialismus eher wieder verschärfen.

Ein Teil der herrschenden Politikerkaste erkennt vielleicht die Probleme und findet keine schnelle Lösung, ein anderer Teil verdrängt die Probleme und der Dumme Rest glaubt seiner eigenen Propaganda, daß im Prinzip alles bestens ist. Gemeinsam ist ihnen, daß sie offenbar gewillt sind, erst mal wie bisher weiterzumachen, nach dem Motto: Bisher ist es ja gut gegangen (wenigstens für uns)!

Mit dieser Mentalität sind allerdings auch die Politiker der Staaten des sozialistischen Lagers gescheitert. Nur Gorbatschow hatte sich entschlossen, den verknöcherten Staatssozialismus aufzugeben. Leider hat er vorher nicht gründlich darüber nachdenken lassen, was statt dessen kommen soll, so daß in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion jetzt die Nachteile beider Systeme herrschen. Als Verdienst bleibt ihm damit höchsten, daß er durch die freiwillige Aufgabe des zusammenbrechenden Systems militärische Konflikte zum großen Teil verhindert hat.

Die Aktivitäten der Linken beschränken sich heute im wesentlichen darauf, durch politischen Widerstand den ungebremsten Lauf des Kapitalismus zurück zu einem Manchester-Kapitalismus aufzuhalten. Das ist eine wichtige aktuelle Aufgabe. Einige scheinen sich mit der Aufgabe bereits abzufinden. Der größte Teil dürfte dabei aber frustriert sein, weil er stets auf die prinzipiellen Unzulänglichkeiten des Kapitalismus stößt aber z.Z. keine greifbare grundlegende Alternative zu erkennen ist. Theoretisch herrscht unter den Linken Konfusion.

Die gesellschaftswissenschaftlichen Einrichtungen der sozialistischen Länder haben versagt, indem sie nicht in der Lage waren, unter den materiell gesicherten Bedingungen des "real existierenden" Sozialismus die Lösung der Probleme einer ausgereiften entwickelten sozialistischen Gesellschaft vorzudenken und zu erproben. Eine Ursache sehe ich in dem Mißtrauen maßgeblicher Politiker gegenüber Intellektuellen auch gegenüber den Vertretern der eigenen Gesellschaftswissenschaften, so daß ihre geistigen Freiräume stets beschränkt waren. Eine weitere Ursache ist die Instrumentalisierung und Reduzierung der Wissenschaft zum ideologisches Legitimationsinstrument. Eine weitere weniger beachtete Ursache sehe ich auch noch darin, daß in Institutionen die Tendenz zur geistigen Synchronisation besteht. Das bedeutet, daß durch die Autoritäten eine geistige Führerschaft entsteht, die selektiv auf die Themenwahl und die Untersuchungsrichtungen wirkt. Dadurch etablieren sich Theorien und Denkweisen, was dann zu kreativen Bremswirkungen führt. Sicherlich findet sich in den Schreibtischen verschiedener Wissenschaftler noch manches Manuskript mit interessanten Ideen, die meist nicht zu ende gedacht sind und nie die Öffentlichkeit erreicht haben und eventuell mal in internen Kreisen diskutiert wurden. Leider ist nach der Wende davon weniger an die Öffentlichkeit gekommen, als ich gehofft habe.

In gleicher Weise haben allerdings auch die gesellschaftswissenschaftlichen Institutionen der kapitalistischen Länder versagt. Trotz der angeblichen Unabhängigkeit der Wissenschaft in der bürgerlichen Demokratie findet man die gleichen selbsthemmenden Erscheinungen in unterschiedlicher Ausprägung. Die Bundesrepublik leistet sich inzwischen sechs wirtschaftswissenschaftliche Institute, in den Medien oft als die "Weisen" bezeichnet. Wenn ich deren staatlich bestelltes halbjährliches Geschwätz über die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik höre, wo über Wachstums- und Inflationsraten orakelt wird, da kommt mir der Kaffee hoch. Man betrachtet die kapitalistische Marktwirtschaft als gegebene beste Gesellschaftsordnung und versucht nur ihre Funktionsweise möglichst im Detail richtig abzubilden, kommt aber kaum auf die Idee bzw. sagt es nicht, daß es nötig ist, sie grundsätzlich zu verändern.

Ein typisches Beispiel für die Ignoranz bürgerlicher Wirtschaftswissenschaftler ist der Umgang mit einem mathematischen Modellansatz der unter der Bezeichnung von-Neumann-Modell bekannt geworden ist. Er wurde bereits 1937 veröffentlicht und stellt eine erfolgversprechende Alternative zur traditionellen Darstellung von Volkswirtschaften in der sogenannten Makroökonomik durch die Monetaristen und die Keynesianer dar. In wesentlichen deutschsprachigen Lehrbüchern wird dieser theoretische Ansatz im Kapitel Wachstumstheorie unter sonstigen Theorien abgetan. Begründet wird die Ablehnung hauptsächlich damit, daß in diesem Modell technischer Fortschritt nicht berücksichtigt werden könne. Den eigentlichen Grund für die Ablehnung sehe ich aber darin, daß der erste noch ganz einfache Ansatz trotz seiner Mängel bereits deutlich macht, daß die durchschnittliche Profitrate in einer angestrebten stabilen kapitalistischen Marktwirtschaft auf Dauer nicht höher sein kann als die dauerhafte materiell technische Wachstumsrate, und das durfte nicht sein.

Auch ich habe in meinen Untersuchungen mit einem von-Neumann-Modell begonnen und habe es dann wesentlich weiter entwickelt. Da ich von Beruf kein Wirtschaftswissenschaftler bin, fehlt mir noch der volle Überblick über die kapitalistisch orientierte Fachliteratur zur Volkswirtschaftslehre bzw. politischen Ökonomie, und ich habe mich bei meinen ersten Literaturstudien auf die Quellen konzentriert, wo ich wesentliche Aussagen zu dem mich interessierenden Gebiet der Modellierung ganzer Volkswirtschaften vermutet habe. Deshalb bin ich anfangs nicht auf diesen Ansatz gestoßen und habe mich über die beschränkte Methode der Aggregation der Wirtschaftssubjekte in der makroökonomischen Theorie geärgert. Erst nachdem ich mit meinem mathematischen Ansatz einige Fortschritte erreicht hatte und deshalb ganz gezielt nach vergleichbarem gesucht habe, bin ich darauf gestoßen. Interessanter Weise habe ich dabei fest gestellt, daß auch John von Neumann kein Wirtschaftswissenschaftler sondern ein vielseitiger Mathematiker war, der unter anderem wesentliches zur Entwicklung der Computertechnik beigetragen hat.

Hiermit möchte ich mich gleich von vorne herein entschuldigen, daß meine Literaturkenntnisse zu dem Thema nicht dem entsprechen, wie es für seriöse Forschung erforderlich wäre. Ich bin auch jedem kritischen Leser dankbar für Hinweise auf dementsprechende interessante Literaturhinweise. Vielleicht kann ich so mit der Zeit meine Literaturkenntnisse auf diesem Gebiet vervollständigen, ohne in einem Haufen von schwachsinnigem Geschwätz die brauchbaren Ideen wie Stecknadeln im Heuhaufen zu suchen und damit viel Zeit für kreative Arbeit zu sparen.

Einen Vorteil hat man aber als Außenseiter. Man unterliegt nicht der suggestiven Wirkung der etablierten wissenschaftlichen Autoritäten und kann damit eventuell der logischen Sackgasse entgehen, in die Wissenschaftszweige gelegentlich geraten. Dieser Vorteil wird aber auch teuer erkauft durch das Risiko, sich allein in der Wüste zu verlaufen, oder das Fahrrad ein zweites mal zu erfinden. Mir schien in meinem konkreten Fall das Risiko gerechtfertigt.

Warum habe ich mich entschlossen, diese Problematik theoretisch anzugehen?

Die Unfähigkeit des Kapitalismus, die aktuellen Probleme der menschlichen Gesellschaft zu lösen, sind seit Marx theoretisch und heute zum wiederholten Mal praktisch bewiesen. Anderseits besteht ein erhebliches theoretisches Defizit darüber, wie eine sozialere stabile Gesellschaft funktionieren könnte. In dieser Situation ist es für mich unbefriedigend, mich an linker Tagespolitik zu beteiligen, ohne einigermaßen konkrete Vorstellungen zu haben, wo die Entwicklung hinführen soll. Sowohl in der Literatur als auch in den Meinungsäußerungen anderer habe ich keine befriedigenden Antworten gefunden. Da ich unter meinen Bekannten auch keine Partner für diese Arbeit gefunden habe, habe ich mich zurück gezogen und meine eigenen Untersuchungen angestellt.

Das Ergebnis dieser Untersuchungen möchte ich hiermit vorstellen. Ich sehe es nicht als ein abschließendes Ergebnis, sondern eher als einen Zwischenbericht über das bisher erreichte. Der Grund, daß ich gerade mit diesem Stand der Arbeit an die Öffentlichkeit gehe, ist der, daß ich jetzt in der Lage bin, in relativ geschlossener logischer Form meine bisherigen Überlegungen darzulegen. Mit diesem Stand der Arbeit habe ich die Überzeugung erlangt, daß die Richtung meiner Überlegungen erfolgversprechend ist und glaube, daß ich das jetzt auch anderen plausibel machen kann. Andererseits ergeben sich aus dem Stand der Arbeit so viele weitere konkrete Teilaufgaben, die ich nicht allein in einem vertretbaren Zeitraum lösen kann und es scheint mir deshalb an der Zeit, das öffentliche Interesse für meine Überlegungen zu wecken, um Mitarbeit auf breiterer personeller Basis zu erreichen und öffentliche Diskussionen dazu anzuregen.

Das Manuskript ist zunächst noch unvollständiger Zwischenbericht und dient gleichzeitig der Selbstverständigung. Ich habe mich aber bemüht es bereits in einer Struktur anzulegen, daß daraus einmal ein Buch entstehen kann.

Band 1 befaßt sich mit der Darstellung mathematischer Modelle gesamter Volkswirtschaften. Ausgehend von einem Modell einer kapitalistischen Marktwirtschaft entsprechend den traditionellen Vorstellungen wird zunächst untersucht, welche Strukturen eine optimale Volkswirtschaft haben soll. Anschließend wird versucht durch verschiedene Modellvarianten zu erforschen, ob es Wirtschaftssysteme geben kann, die sich selbst in Richtung einer optimalen Wirtschaftsstruktur bewegen und wie diese aussehen könnten.

Band 2 befaßt sich mit einem Teilsystem einer Marktwirtschaft, dem Arbeitsmarkt. Es wird untersucht, nach welchen objektiven Kriterien die individuelle Leistung der Mitglieder der Gesellschaft innerhalb gesellschaftlicher Arbeit bewertet werden kann und wie ein entsprechendes Leistungslohnsystem aufgebaut sein muß.

Im Band 3 [jetzt wesentlich erweitert] wird ein Entwurf für eine soziale bzw. sozialistische Marktwirtschaft in nicht mathematischer Form dargelegt und kommentiert.

Neben der Darstellung meiner Überlegungen werden offene Probleme und mögliche Richtungen der weiteren Bearbeitung der Probleme angegeben. Soweit bekannt, werden entsprechende Literaturstellen zu diesem Thema angegeben und kommentiert.

Schwerin, den 21.10.1997

Roland Wegmann

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